Weg mit dem Bekennniszwang! Wenn gilt: ‚Wer meine Theorie angreift, greift mich an‘, ist die Freiheit der Wissenschaft an ein Ende gekommen, schreibt Konrad Paul Liessmann im Medium “Der Pragmaticus”. Ein sehr lesenswerter Artikel. Denn: “Konformismus und Aktivismus infizieren die Wissenschaft. Das sind schlechte Voraussetzungen für bahnbrechende Entdeckungen.”
Es gibt für Wissenschaftler und Intellektuelle also gute Gründe, die Berührung mit dem Schmutz des politischen Geschäfts zu vermeiden, so Liessmann. “Nicht, weil dieses unnötig oder prinzipiell prekär wäre, sondern weil es den Prozess der theoretischen Neugierde sabotiert, weil es die Offenheit des Diskurses, ohne die es keinen Fortschritt gibt, blockiert.
Es kann deshalb schon auch beunruhigen, mit welch demonstrativer Lust zeitgenössische Aktivisten in diesem Schmutz wühlen. Sie bewerfen Kunstwerke mit Suppe und Brei, sie kleben sich an staubige Straßen, sie beschmieren Fassaden und Denkmäler – so, als wollten sie Adornos These demonstrativ bestätigen: Wir machen uns, um die Welt zu retten, gerne die Hände schmutzig; dafür verzichten wir aufs Denken. Im Notstand bleibt keine Zeit für Reflexion. Das mag für junge Weltretter eine sinnerfüllte Maxime sein. Für die Wissenschaft und ihre Freiheit ist es ein Desaster.”
Eine Frage, die in letzter Zeit vermehrt aufpoppt – an den verschiedensten Stellen: Gibt es die Guten und die Bösen? Schwerpunktthema und Titelstory des aktuellen Philosophie Magazins versuchen sich an Antworten – durchaus lesenswert! Etwa auch die Frage, wie das Böse in die Welt kommt, hat Philosophen seit jeher beschäftigt. Steckt Absicht dahinter oder Arglosigkeit? Können wir es überhaupt restlos verstehen? Über das Böse als ethische Kategorie denkt Slavoj Žižek nach.
Kant damals und heute. “Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir” oder “Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte”. Ich erinnere mich an zahlreiche Sonntags-Frühstücke in meinem Elternhaus, wo Kant zitiert und über seine Schriften diskutiert wurde. Wie ein großes Denkmal schien er mir oft, wenngleich etwas angestaubt. Im April jährt sich Kants Geburtstag zum 300. Mal.
Leider so gut wie das einzige, was mir von meinem Großvater blieb – sind einige wunderschön in Leder gebundene Bücher; viele von Kant, andere von Schopenhauer oder Nietzsche. Mein Großvater – seines Zeichens Philosoph und Jurist – starb, als meine Mutter ein Kind war. Daher habe ich ihn leider nie kennengelernt, aber meine Mutter versicherte mir oft, wir hätten einander gut verstanden. Er schien jedenfalls ein glühender Kantianer gewesen zu sein – Briefe und Erzählungen über ihn belegen das.
“Die Kraft der Vernunft in chaotischen Zeiten” lautet der Untertitel der philosophie Sonderausgabe “Kant”. Nun, chaotische Zeiten hat auch mein Großvater erlebt – zwei Weltkriege immerhin und bald danach, genau dann, als sich die Welt langsam wieder zu erholen schien, starb er. Das Kant-Zitat “Je mehr du gedacht, je mehr du getan hast, desto länger hast du gelebt.” ziert seinen Grabstein.
Und was hätte uns Kant, der große Aufklärer, wohl heute zu sagen? Er war beispielsweise davon überzeugt, dass Freiheit kein Gefühl, sondern die Erfüllung unserer moralischen Pflicht ist, dass der Mensch nicht bloß ein intelligentes Tier, sondern auch ein transzendentes Wesen ist.
In Zeiten, in denen Influencer, Esoteriker und Fanatiker an Einfluss gewinnen, scheint Kants Aufruf, sich mutig des eigenen Verstandes zu bedienen, zeitgemäßer denn je, meint Philosophin Barbara Bleisch. In der Sonderausgabe des philosophie Magazins beantworten zeitgenössische Intellektuelle und Philosophen auf ihre Weise Kants drei große Fragen “Was kann ich wissen?”, “Was soll ich tun?” und “Was darf ich hoffen?” und interpretieren Kant aus vielen neuen Perspektiven.
Besonders spannend ist ein Interview mit dem Philosophen Jörg Toller, der sich fragt, zu welcher Art von Erkenntnis künstliche Intelligenz fähig ist? Wichtige Einsichten finden sich bei niemand Geringerem als Immanuel Kant, meint er.
Feyerabend plädiert für eine freie Wissenschaft, die durch Methodenpluralismus und den allmählichen Abbau aller disziplinierenden Vorgaben charakterisiert werden kann.
“Vor 100 Jahren kam der Wissenschaftstheoretiker und Philosoph Paul Feyerabend in Wien zur Welt. Für ihn läuft Wissenschaftsentwicklung nicht nach rationalen Prinzipien ab, sondern ähnelt, so seine provokant-ironische Zuspitzung, den wechselvollen Trends in der Kunst. Als Protagonist einer historischen Wende in der Wissenschaftstheorie beruft er sich auf die Wissenschafts- und Philosophiegeschichte, die von Irrtümern, Willkür, Opportunismen, Aversionen und Rivalitäten geprägt sei. Anerkannter Fortschritt der Wissenschaften konnte sich nur dort einstellen, wo jeweils etablierte Theorien, Rationalitätsstandards, soziopolitische Erwartungen, Machtstrukturen etc. außer Acht gelassen wurden.” *
Ich war mir seines Geburtstags nicht bewusst, als ich kürzlich – im Zuge der Veröffentlichung meines letzten Buches niederschrieb: Als junge Philosophiestudentin faszinierte mich unter anderem die Idee von Intuition und Kreativität als Voraussetzung des Erkenntnisgewinns und Erkenntnisfortschritts. Henri Bergsons Lebensphilosophie gefiel mir und ein Buch Paul Feyerabends namens „Wider den Methodenzwang“ mit der – zumindest von mir interpretierten – wunderbaren Schlussfolgerung „es kann aber auch alles ganz anders sein“. Aus einer Metaebene betrachtet könnte man sagen, dass mich dieser Satz seither begleitet hat. So interessant es auch sein möge – ich will hier nicht näher auf Feyerabend und seinen erkenntnistheoretischen Anarchismus eingehen; freilich aber jenen Lesern, die in meinem Buch nach Strukturen oder sonstigen Regeln suchen oder überlegen, wie es am besten zu lesen sei (chronologisch oder intuitiv), das Feyerabend ́sche Diktum zur Betrachtung quasi in den Raum stellen und unkommentiert stehen lassen: „…der einzige Grundsatz, der den Fortschritt nicht behindert, lautet: Anything goes.“
*Wer mehr über den spannenden Philosophen und Wissenschaftstheoretiker erfahren möchte, dem sei ein Artikel aus dem neuen “philosophie Magazin” ans Herz gelegt: “Leb wohl, Vernunft!” Zum 100. Geburtstag von Paul Feyerabend.
Das Titelthema des aktuellen Philosophie Magazins wirft mehrere Fragestellungen auf, die aktuell in zahlreichen kritischen Diskursen kursieren. Für viele Menschen ist der Verzicht kein Akt der Freiwilligkeit. Würden wir ein Bedürfnis wie Hunger oder Durst nicht stillen, wäre der Tod unausweichlich. Aber was ist etwa mit all den Bedürfnissen, die nicht lebensnotwendig, aber trotzdem existent, vielleicht sogar drängend sind? Welches Kriterium lässt sich anlegen, um sie als falsch oder richtig auszuweisen? Im Heft findet man ein ein Dossier zum Thema sowie wie immer einiges mehr. Lesenswert ist vor allem auch ein Gespräch zwischen Rahel Jaeggi und Robert Pfaller über das, was wir brauchen.
Diese mittlerweile vergilbte Postkarte stand schon vor etwa 20 Jahren auf meinem Schreibtisch und gefiel dort vielen Besuchern. Was ich heuer verschenke, werde ich oft gefragt. Nun, ich bemühte mich immer schon darum, Freunden etwas zu geben, was sie auf irgendeine Art weiterbringt oder erfreut.
Bücher zählten zu allen Zeiten zu meinen Lieblingen. Und zu Weihnachten dann sowieso. Als Geschenk an mich und von mir.
Heuer verschenke ich etwa den neuen Roman meiner Lieblingsautorin Nele Pollatschek. Ich liebte schon ihr Vorgänger-Buch „Dear Oxbridge“. Im neuen Buch „Kleine Probleme“ erzählt sie vor allem von der Schwierigkeit, sein Leben nicht auf später zu verschieben. Der Roman ist aber nicht nur gefundenes Lesefood für Prokastrinierer; auch die Sprache des schillernden Romans ist eine echte Seelenweide. Man lese hier …
Stermann erzählt von Gesprächen mit ihr: Wer die Psychoanalytikerin Erika Freeman je erlebt hat – und sei es nur im Fernsehen, dem zaubert sich automatisch ein Lächeln aufs Gesicht: Man glaubt voller Freude an die Möglichkeit von Wundern und die Kraft der Liebe. Dirk Stermanns Buch macht Freude.
Wer Michael Köhlmeier kennt, weiß, wie verführerisch und mitreißend seine sprachlichen Reisen sind. Wer sich für das Schöne begeistern kann wird im neuen Buch “Das Schöne” mitschwelgen.
Bemerkenswert ist – unter vielen anderen außergewöhnlichen Büchern des jungen spannenden Verlagshauses etwa die Geschichte eines Magazins namens Spring, das sich nicht nur der Liebe zum graphischen Erzählen verschrieben hat, sondern auch der Zusammenarbeit und Solidarität unter den Zeichnerinnen und Illustratorinnen. Die insgesamt 20 Illustratorinnen der Künstlerinnen-Gruppe erzählen vom Zusammensein, vom Austausch zwischen Mensch und Natur, von der Symbiose im Tierreich, von der Solidarität unter Frauen, von Suffragetten und Comic-Gewerkschaften, von der Eheberatung, von Erbe und Familie, vom Aneinandergefesseltsein, ob tragisch oder komisch, von der Sehnsucht nach Gemeinschaft, von Kontaktanzeigen mit Dackeln, vom In-die-Welt-geworfen-sein und von den Möglichkeiten des Sichverbindens.
Eine Augenweide.
Rebekka Reinhard promovierte an der Freien Universität Berlin über Gegenwartsphilosophie. Sie arbeitete viele Jahre mit stationären Patientinnen und Patienten der Psychiatrie und Onkologie. Jetzt ist sie freie Philosophin, Speakerin und berät Entscheiderinnen und Entscheider zu den Themen Führung, künstliche Intelligenz und Diversity.
Ihr Buch “Die Kunst, gut zu sein“ ist im Ludwig-Verlag erschienen und soll einen inneren Kompass bieten für ein Leben, das auch in Krisenzeiten glücklich macht. Ohne Pathos, pragmatisch und berührend, anspruchsvoll und alltagstauglich, mit den Ideen großer Denker von Erich Fromm über Hannah Arendt bis zu Aristoteles liefert sie Stoff zur Reflexion und ganz praktische Denkanstöße. Etwa stellt die Autorin die Banalität des Guten der Arendt´schen Banalität des Bösen gegenüber: “Das Gute kann auf einem ganz kleinen Level im alltäglichen Radius der Banalität des Bösen entgegenwirken. Tatsächlich merke ich, dass ich zufriedener werde, ruhiger, vielleicht sogar resilienter, seit ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, freundlich zu sein, Menschen zu helfen, schwere Taschen zu tragen, wenn nötig. Und wenn ich auch zu mir selbst gut bin. Da kann sich eine richtige Lebenshaltung daraus entwickeln.“
Um bei einem philosophischen Thema zu bleiben: In existenziellen Krisen der Menschheit ist das Ethos der Aufklärung notwendiger denn je. Das zeigt der Historiker und Schriftsteller Philipp Blom in seinem kämpferischen Essay “Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung”. Es sind mit theologischem Schutt behaftete Ideen, die von der gemäßigten Hauptströmung der Aufklärung transportiert wurden und unser Denken und Handeln bis heute prägen. Jetzt ist es Zeit für die wahre, radikale Aufklärung, so fordert der Autor vehement. Das Buch ist ein Aufruf zu einer neuen Klarheit des Denkens. Denn die Probleme von morgen können wir nicht mit der Denkweise und Philosophie von gestern bekämpfen.
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums dieser Webseite und der Buchreihe veröffentlicht die Autorin ein Tagebuch.
Es enthält Erinnerungen an philosophische Interviews, Festivals und auch kleine biographische Gedanken, Blogbeiträge, Ideen oder Erinnerungsfetzen an unzählige Gespräche und Überlegungen. Manche Ereignisse der letzten zehn Jahre sind erstaunlich aktuell und erscheinen heute zuweilen in einem neuen Licht: „Mein erstes Buch „Die Philosophen kommen“ erschien 2013. Die gleichnamige Online-Plattform dazu gab es damals schon. Dass daraus eine ganze Reihe weiterer Bücher entstehen sollte, war mir damals noch nicht so klar; wohl aber, dass das Buch mit der Erscheinung in Printform kein abgeschlossenes Projekt sein würde. Es schrie geradezu nach einer Weiterführung – gedruckt und online“.
Warum ein Tagebuch? “Weil es kein Sachbuch ist. Auch kein Roman. Keine Kurzgeschichte. Kein Poesieband. Und keine Autobiographie. Und doch von allem etwas. Ein philosophisches Tagebuch eben. Frei nach Friedrich Nietzsche: Für alle und keinen.”
Erinnerungen an Gespräche mit Konrad Paul Liessmann, Robert Pfaller und vielen anderen spielen ebenso eine Rolle wie Erinnerungen an Festivals und Aussagen von Philosophen wie Jean Baudrillard, Heinz von Förster oder Vilém Flusser. Aber auch ChatGPT spielt mit in den Gedanken um unser Sein. Und die Frage nach unserem zukünftigen Umgang mit KI-Technologien.
Illustriert wurden die Texte von der Kunst- und Literatur-Studentin Annabell Sent aus dem Kleinwalsertal, die ihren jungen, graphischen Blick einbringt, manches hervorhebt und die Tagebuch-Gestaltung dadurch noch authentischer macht. Sie hat Kunstgeschichte studiert und ist mitten im Masterstudium “Literaturvermittlung in sozialen Medien” in Marburg.
Wie kommuniziert man wissenschaftliche Inhalte am besten? Eine Frage, die – nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftlichen Verantwortung – auch philosophische Relevanz hat.
Wissenschaft darf nicht abgetrennt von der Öffentlichkeit passieren, ist Prof. Dr. Antje Boetius überzeugt. Sie ist Mitglied der Hector Fellow Academy. Diese junge Wissenschaftsakademie ermöglicht interdisziplinäre Projekte zwischen renommierten ProfessorInnen aus verschiedenen MINT-Fächern sowie Medizin und Psychologie. Deshalb beschäftigt sie sich viel mit der Frage, wie man wissenschaftliche Ergebnisse in die Öffentlichkeit tragen kann, um einen Dialog zu ermöglichen. Boetius probiert dafür auch neue Formate aus, die etwa Kunst und Wissenschaft verbinden und abstrakte Datensätze visuell erfahrbar machen. Sie ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und Professorin für Geomikrobiologie an der Universität Bremen. Mehr dazu hier.
Wie wird die KI unsere Arbeit, die Medizin, Beziehungen, Kunst und Kultur verändern? Fragen über Fragen entstehen und geben in diesem sehr empfehlenswerten Forum eine Ahnung von der Vielzahl der Facetten, die sich heute und in Zukunft auftun. Ein philosophisches Forum über die Entwicklung der neuesten digitalen Technik und unsere Chance, sie im Zaum zu halten. Zu sehen in der ORF TVthek.
Angesichts einer krisengeschüttelten Welt, in der sich Nachrichten über Klimakatastrophen, Kriege, zusammenbrechende Versorgungssysteme und Pandemien überbieten, scheint kein Platz mehr für jene Hoffnungen, die sich in optimistischen Erwartungen, lichtvollen Utopien und Visionen vom ewigen Frieden zeigten.
Unter dem Titel „Alles wird gut. Zur Dialektik der Hoffnung“ werden vom 19. bis 24. September renommierte Vortragende die Thematik so tiefgreifend wie breitgefächert erörtern und mit dem Publikum diskutieren. Die ganze Zwiespältigkeit und Dimension einer grundlegenden Haltung und Emotion vor dem Hintergrund unserer krisengebeutelten Welt steht im Fokus des 26. Philosophicum Lech.
Was dürfen wir hoffen? Immanuel Kants berühmte Frage müsste heute umformuliert werden, konstatiert Konrad Paul Liessmann in seinem Editorial: Dürfen wir überhaupt noch hoffen? Inwieweit die Optimismus beschwörende Formel ihre Berechtigung hat oder ironisch verstanden werden sollte, wird sich weisen.
Mehr dazu weiter unten und später – wie immer an dieser Stelle.